Dienstag, 16. Dezember 2025

Die Eminenz der Mittelmäßigkeit: Piatniks „Otto Normalo“ im Test


Titel: Otto Normalo
Verlag: Piatnik
Spieleranzahl: 3 bis 6 Personen
Dauer: ca. 30 Minuten

In einer Welt, die sich zwischen toxischer Selbstoptimierung und dem Drang zum Exzeptionellen aufreibt, kommt aus dem Hause Piatnik ein Korrektiv: Ein Quizspiel, bei dem gewinnen möchte, wer am unauffälligsten schätzt. Ein Hoch auf die goldene Mitte.

Man kennt das aus dem politischen Diskurs: Die „Mitte“ ist jener Sehnsuchtsort, den alle besetzen wollen, den aber kaum jemand präzise definieren kann. Im Wiener Traditionsverlag Piatnik hat man dieses soziologische Phänomen nun in Karton gepresst. Das Spiel heißt „Otto Normalo“, und es ist – man verzeihe den Kalauer – ein überdurchschnittliches Plädoyer für das Durchschnittliche.


Wissen ist Silber, Schätzen ist Gold

Das Prinzip bricht radikal mit dem klassischen Quiz-Duktus eines Trivial Pursuit. Wer hier mit enzyklopädischem Inselwissen über die Anzahl der Blutgefäße im menschlichen Körper oder die Kochzeit eines Straußeneis glänzt, hat bereits verloren. Denn bei „Otto Normalo“ gehen sowohl die vermeintlichen Genies als auch die völlig Ahnungslosen leer aus.

Das Spielmaterial ist so unaufgeregt wie der Name: 110 Karten, abwischbare Tafeln und Stifte. Die Aufgaben verlangen Schätzwerte zwischen 1 und 99. Der Clou: Wer am nächsten an der Wahrheit liegt, bekommt nichts. Wer am weitesten danebenhaut, ebenso wenig. Die Punkte – in Form von Wertungsplättchen – wandern ausschließlich in die Taschen jener, die sich im sicher gepolsterten Mittelfeld der Schätzungen bewegen.

Die Arithmetik des Anstandes

Es entwickelt sich am Spieltisch schnell eine Dynamik, die man als „österreichische Lösung“ bezeichnen könnte. Man schaut nicht auf das Ziel, sondern auf die Mitspielenden. Wie weit wird der Nachbar wohl nach oben ausbrechen? Ist die eigene Schätzung zu präzise, um noch als „normal“ durchzugehen?

Nach zehn Runden folgt die eigentliche Abrechnung, die an die Logik von Steuererklärungen erinnert: Gewonnen haben jene, die am Ende weder die meisten noch die wenigsten Plättchen besitzen. Man muss sich also aktiv am Umverteilungsprozess beteiligen, Chips an Mitstreiter zuschieben oder sie geschickt loswerden. Es ist eine spielerische Einübung in das soziale Gleichgewicht – oder zumindest in die Kunst, nicht unangenehm aufzufallen.

Fazit: 

„Otto Normalo“ ist kein Spiel für Statistiker oder Fakten-Fuchser. Es ist ein herrlich absurdes Partyquiz, das den Leistungsdruck der Wissensgesellschaft ad absurdum führt. Dass die Fragen oft so kurios sind, dass ohnehin niemand die Antwort kennt, nivelliert die Chancen und sorgt für jene Art von Heiterkeit, die entsteht, wenn man gemeinsam im Dunkeln tappt. Otto Normalo ist  die perfekte Abendunterhaltung. Es lehrt uns: Es ist völlig in Ordnung, nicht alles zu wissen – solange man weiß, wo die anderen stehen.

Erfrischend unaufgeregt. Ein Spiel wie ein Wiener Melange: Nicht zu heiß, nicht zu kalt, genau richtig.