Donnerstag, 9. November 2017

Bataclan - Wie ich überlebte ++++ am Montag, den 13. November jährt sich der Anschlag auf den Pariser Club zum zweiten Mal ++++ ein Augenzeugenbericht von Fred Dewilde

Der Augenzeugenbericht von Fred Dewilde - eine beklemmende, intensive Comic-Dokumentation des Attentats, das sich am 13. November zum zweiten Mal jährt 



Fred Dewilde, geboren 1966, ist als Grafiker auf medizinische Illustrationen spezialisiert. Er lebt mit seiner Familie in einem Vorort von Paris und liebt Rockmusik. Als Fan der US-Band Eagles of Death Metal war er an jenem verhängnisvollen Abend des 13. Novembers 2015 im Pariser Kult-Club Bataclan, als Terroristen dort ein grauenvolles Blutbad anrichteten. Nach offiziellen Angaben starben 89 Besucher des Konzerts, Hunderte Menschen wurden teilweise schwer verletzt. Fred Dewilde überlebte das Attentat mit viel Glück körperlich nahezu unversehrt, aber schwerst traumatisiert. Nun hat er, als Teil der Aufarbeitung des Erlebten, seine Erinnerung an die Geschehnisse in einem beeindruckenden und beklemmenden Comic zu Papier gebracht. Die deutsche Version ist beim Panini Verlag im Album-Format erschienen. 

„Mitten im Blut eines Toten habe ich gelegen. Mitten unter den zerfetzten Körpern war ich geschützt. Mitten unter den zerstörten Leben habe ich gedacht, dass ich mitten im Entsetzen und im Wahnsinn noch einmal die Chance bekommen habe, euch zu lieben.“ Mit diesen Worten beschreibt Fred Dewilde auf dem Umschlag des Bandes seine Gefühle, als er zwischen Leichen liegend darauf hoffte, seine Familie noch einmal wiedersehen zu können. In seinem Comic werden diese Gedanken zu düsteren Bildern. Durch das Zeichnen versuchte er, sie aus seinem Kopf auf das Papier zu verbannen. „Für ihn war das reine Therapie“, sagt Bettina Frank, die den Band bei Paniniübersetzt und redaktionell betreut hat und mit dem Autor und Zeichner in persönlichem Kontakt steht. „Er hat mir erzählt, dass sich das Schlussbild des Comics so in seinen Kopf gebrannt hatte und er den Drang verspürte, den Comic zu zeichnen. Darin sah er einen Weg, mit der Sache abzuschließen.“ 

Für die Leser schuf Fred Dewilde einen gezeichneten Augenzeugenbericht, der – durchweg in Schwarz-Weiß gehalten – den gesamten Schrecken eindringlich wiedergibt, ohne dabei explizit zu werden. Die Terroristen stellt er als entmenschlichte Gestalten mit Totenschädeln dar; die Toten, inmitten derer er lag, als formlose Masse. Zwischen all den Leichen, so beschreibt er es im Comic, habe er mit einer weiteren Überlebenden, der schwer verletzten Élisa, neben der er lag, einen „Kokon der Menschlichkeit“ geschaffen, um sich von dem Wahnsinn um ihn herum abzuspalten. Diesem Stück Menschlichkeit inmitten der Unmenschlichkeit verdanke er sein Überleben, sagt er. Letztlich war es aber reiner Zufall, dass er nicht auch erschossen wurde. Die Frage nach dem Wieso und warum ausgerechnet er überlebt hat, macht ihm bis heute zu schaffen. 

Im Anhang des Bandes betrachtet Fred Dewilde in einer Reihe von Texten Punkte, die im Comic selbst keinen Platz hatten. Er beschreibt dort zum Beispiel, wie sich sein Leben und er selbst nach Bataclan verändert haben, wie er überhaupt wieder ins Leben zurückfand. Er sinniert über Psychotherapie, Schuldgefühle, das Menschsein und den Wert von schwarzem Humor. Außerdem macht er sich Gedanken zu den Eagles of Death Metal, die nach dem Anschlag nicht nur positiv in Erscheinung traten, über den Islam und zur aktuellen Politik – dies im Übrigen sehr differenziert, ohne Hass und vor allem ohne verallgemeinernde Anschuldigungen. Auch die Anschläge von Brüssel, Nizza und auf die Redaktion von Charlie Hebdo bleiben nicht unerwähnt. 

Bataclan – Wie ich überlebte ist ein beeindruckendes, sehr eindringliches und in Teilen schockierendes Zeitdokument. Alles andere als leichte Kost, aber ein Band, den man - auch mit Blick auf aktuelle Geschehnisse - unbedingt gelesen haben sollte.